Was wurde aus Inderin?

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Manu
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Was wurde aus Inderin?

Beitrag von Manu »

Liebe Forscherkollegen,

ich melde mich nach langer Inaktivität mit einer Problematik zu Wort, die 60 % Wissen und 40 % Phantasie benötigt. Die Frage vorweg: Was wurde aus der Gattin? Die Problematik:

1754 reist ein Chirurg aus einem kleinen Ort bei Magdeburg nach Westindien, um dort für die VOC (Vereenigde Oostindische Compagnie) zu arbeiten. Dort heiratet (und schwängert) er eine - für uns minderjährige - Inderin, mit der er 1763 in seine Heimat zurückreist (+ Sohnemann & Kaufsklaven).
1766 wird seine (in deutscher Sprache und Religion unterrichtete) Gattin getauft, christlich benahmt und zum Abendmahl zugelassen. 1768 gebiert sie ihrem Ehemann einen weiteren Sohn.
1770 bekommt der Herr Chirurg von einer Frau namens Rabe ein uneheliches Kind geschenkt. (Trauung später nicht zu finden.)
1782 heiratet er eine Frau Wilcken, die ihm zwei Jahre darauf ebenfalls ein kind schenkt. Unter dem Traueintrag steht geschrieben: "not: Sie sind nach erhaltener aller höchster Erlaubnüß ein für allemahl aufgeboten, und im Hause copoliert worden. Br. alt 50. J. Braut alt 26 Jahre".
In all den Jahren läßt sich KEIN Sterbeeintrag der indischen Gattin finden. Was ist da passiert? (Das ist wohl der Zeitpunkt, um das Ganze zum Verständnis noch einmal zu lesen... :wink: )

a) Hat er sie "fallen lassen" und dies mit einer rechtlosen Eheschließung in Indien begründet, sodaß er sich auf juristisch wackligem Gebiet befand und diese "allerhöchste Erlaubnis" brauchte? ("Satt gesehen", "fremdenfeindlicher Druck von Außen" - laut Pastor wurde durchaus viel getratscht)

b) War vielleicht auch das uneheliche Kind des Gatten eine Ursache (oder Wirkung) der Trennung? (Ist leider nicht überliefert, ob sie 1770 noch zusammenlebten). Kann - aus ehelichem Unglück - sie ihn verlassen haben?

c) Kann man auch den Aspekt "Heimweh" und eine Rückreise nach Indien in Betracht ziehen, sodaß ihr Gatte später diese Sondererlaubnis brauchte, da seine Frau ja nicht verstorben (sondern nur nicht mehr vor Ort) war?

Oder doch d)?


Und die Fachfrage: Was war diese "aller höchste Erlaubnis" ? Und wer durfte/mußte sie ausstellen? Kam diese - wie mir gestern jemand orakelte - direkt vom Königshof? Und habt ihr spontane Ideen, ob man auch heute noch Unterlagen dazu finden könnte?

Ich weiß, es ist viel Text und es sind eine Menge Fragen (die wahrscheinlich noch gar nicht alle gestellt sind). Aber ich weiß auch, daß es hier viele nette und hilfsbereite Fachkräfte gibt, sodaß ich hoffe ein paar Hinweise/Ideen von euch zu lesen.

Schöne Grüße und eine Dankeschön vorweg.

Manu
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Ostpreuße
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Beitrag von Ostpreuße »

Hallo Manu,

Sachen gibt es ... :shock:

Lassen sich denn die chirurgisch-indischen Söhne nach 1782 nachweisen?
Offenbar war der potente Chirurg ja ein reiselustiger Mensch und seine indische Gattin ist andernorts verschieden?

:roll: Ostpreuße
Manu
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Beitrag von Manu »

Hallo Ostpreuße,

also die aufgeführten Daten sind alle aus dem selben kleinen Örtchen, sodaß die Beziehung zum heimatlichen Haus über die Jahre wohl bestehen blieb. Aber auf die Idee, daß er zwischendurch wieder unterwegs war und seine Gattin fremden Ortes starb, bin ich - warum auch immer - nicht gekommen. Das wäre freilich auch möglich. (Nur frage ich mich jetzt, ob man dies im späteren Traueintrag nicht mit "der Witwer" quittiert hätte.) Hmm...
Irmgard
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Beitrag von Irmgard »

Hallo Manu,
hier nun meine Gedanken zum Thema:

die Inderin ist vermutlich bei der Geburt des 2. Sohnes gestorben. Lies mal den Taufeintrag genauer -
oder sie starb kurz danach und es gibt einen extra Eintrag.
Denn ich vermute, daß die Frau Rabe als Amme ins Haus gekommen war. Daraus ergab sich oft ein uneheliches Kind und die Beziehung. Weshalb er erst Jahre später wieder heiratete. Prüfe also das Leben/ den Tod der Frau Rabe und den Werdegang des unehelichen, so wie der ehelichen Kinder. Bei den ehel. könnte der frühe Tod der Mutter vermerkt sein.

Deine Fragen:
a) Hat er sie "fallen lassen" und dies mit einer rechtlosen Eheschließung in Indien begründet, sodaß er sich auf juristisch wackligem Gebiet befand und diese "allerhöchste Erlaubnis" brauchte? ("Satt gesehen", "fremdenfeindlicher Druck von Außen" - laut Pastor wurde durchaus viel getratscht)
*** NEIN! Sie war als seine Frau anerkannt und ein ordentliche Gemeindeglied geworden! Tratsch zählt nicht, ebenso das Heimweh einer Frau. In Indien wäre sie auch nicht wieder aufgenommen worden, wenn sie nicht vermögend gewesen ist. Diese Annahme ist viel zu spekulativ.

b) War vielleicht auch das uneheliche Kind des Gatten eine Ursache (oder Wirkung) der Trennung? (Ist leider nicht überliefert, ob sie 1770 noch zusammenlebten). Kann - aus ehelichem Unglück - sie ihn verlassen haben?
...NEIN! s. o. und wie sollte sie ihn verlassen? Frauen waren unvermögend und ihre Kinder wären beim Vater geblieben. Deshalb sieh nach den Kindern.

c) Kann man auch den Aspekt "Heimweh" und eine Rückreise nach Indien in Betracht ziehen, sodaß ihr Gatte später diese Sondererlaubnis brauchte, da seine Frau ja nicht verstorben (sondern nur nicht mehr vor Ort) war?
...NEIN! eher wäre sie am Heimweh krepiert oder hätte sich umgebracht (schon Selbstmöder kontrolliert?)!
Eine ordentliche Ausreise (Passabgabe) wäre vermerkt worden. Man brauchte ja schon eine Genehmigung zum Besuch im Nachbarort. Er hätte diese Ausreise also schriftlich gehabt und einen Totenschein vorlegen oder eine Scheidung nachweisen können. Und er oder sie müßten für eine private Reise sehr reich gewesen sein.

Eine Genehmigung ( Dispens) brauchte man, wenn man
a) aus einer fremden Gemeinde war
b) verwandt oder verschwägert oder er (beachte das Alter) Pate oder Vormund gewesen ist
c) bereits versprochen war und das Verlöbnis gelöst werden mußte; Trauerjahr / Scheidung

Wecher Art diese Erlaubnis gewesen ist, erfährt man eigentlich aus dem Wortlaut. Den Hinweis auf königl. kannst du m.M.nach getrost vergessen.

Allerdings war zu dieser Zeit ein "Mohr" im Haushalt eine Mode. Was wurde aus dem Diener?
Und als letzte Anmerkung: Es war kein Privileg als Arzt in Indien zu arbeiten. Das war oft nur ein Ausweg aus Not und Schulden. Immerhin war ein Studium nicht billig und so verdingte man sich als "Gastarbeiter". Werber der Company zogen durch die Gemeinden.

Das Leben des Mannes kann man (nur mit Glück und wenn er fleissig gewesen ist) rekonstruieren, indem man seinem Geld folgt: Haus, Grundstücke, Verträge, Zinsen, Gerichtsakten, vielleicht Reisepässe. Er konnte nicht "freischaffend" arbeiten, auch er brauchte eine Genehmigung der Zunft usw... Das ist eine mitunter sehr mühsame Suche, weil solche Akten nicht gebündelt lagern. Man muß zuerst ausfindig machen, wer herrschte zu dieser Zeit und wo war die Residenz? Wer übernahm das damalige Archiv? usw..

Eine Lebensaufgabe? ;-)

NS: deine Bemerkung: "ob man dies im späteren Traueintrag nicht mit "der Witwer" quittiert hätte" beantwortet sich durch die Gepflogenheit, in der der Pfarrer das Buch führte. Wurde bei der Taufe denn die Mutter als seine Frau angegeben wie üblich? Wurde das erste Kind hier getauft?

liebe Grüße.. Irmgard
Manu
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Beitrag von Manu »

Danke Irmgard. Die genauen Lebensverläufe der "Nebenpersonen" habe ich vor zu prüfen, allerdings ist hier Geduld gefragt. Der Pfarrer will nicht, daß in den Büchern geblättert wird und der Termin für die Mikrofilm-Einsicht liegt - am Montag frisch geholt - Mitte August!!! (Ich werde ab und zu per Telefon nerven und fragen, ob wer abgesprungen ist...)
Der Diener, dies hatte nicht erwähnt, stirbt 1768 (vier Monate nach der Geburt des letzten "halbindischen" Kindes). Sein Eintrag lautet: "21.) d. 3. Julÿ ist gestorben der Knabe welcher der Chirurgius Kummer aus Ostindien als einen Verkaufften Schlawen mitgebracht
hat. Er ist ordentlich pre…ariret worden zu einem offentlichen Tauff... alle anstalten waren auch bereit dazu gemacht da eine Krankheit dazwischen gekommen daß ihm die Nohttaufe unter Benennung Christian geben mußte, da er vorhers Ahli geheißen hatte. alt 17. Jahr. Nachdem er vorher von den Pferden getreten und geschlagen worden." Die "..." sind übergekrizelte Buchstaben, die ich nicht richtig erkennen kann.

PS: 1) Ein Vermerk, daß die indische Ehefrau bei oder nach der Geburt starb, findet sich nicht im Taufeintrag. 2) Zu jener Zeit finden sich "Witwer-Einträge". (Kann der Herr Pfarrer ja aber vielleicht mal vergessen haben.)
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Ostpreuße
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Beitrag von Ostpreuße »

:wink: Hallo Manu,

ich hoffe Du berichtest, wie es weitergeht?

Ostpreuße
Manu
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Beitrag von Manu »

Irmgards wissenschaftlicher Realismus hat mir zwar einige Hoffnungen genommen, dieses Rätsel tatsächlich einmal zu lösen ... :wink: ...aber ich bleibe auf jeden Fall dran und werde über Fortschritte berichten. (Und sollten sich keine eindeutigen Erkentnisse ergeben, schwing ich mich auf die literarische Bahn und strick 'ne Romanfigur draus. :D )
Diese Geschichte ist bei uns hier (leider) völlig vergessen, dabei war es - laut Kircheneintrag - in unserer Gegend wohl einst eine (ungeliebte?) Sensation. Aber Zeit ist halt auch eine Nebelmaschine. Und in diesem Fall war sie ja auch schon ein paar Jährchen auf "on" gestellt.
Aber wenn man ungezielt über den seitenlangen und sehr persönlich geschriebenen Eintrag des damaligen Predigers stolpert, wird man richtig hineingezogen. Da läßt man so schnell eben nicht locker.

(Irgendwie werde ich auch das Gefühl nicht los, daß er von seiner Schülerin körperlich durchaus angetan war. Womit sich auch der Geistliche nahtlos in die Story des potenten Chirurgen einfügen würde... --- Ich glaube ich fang dann mal an den Roman zu schreiben... :wink: )

Gruß an Ostpreuße und den Rest der Runde.

PS: Mögen uns die Gegangenen unsere Interpretationen und Abstraktionen ihrer Zeit und Persönlichkeiten verzeihen.
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