standesunterschiede?

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thorben

standesunterschiede?

Beitrag von thorben »

moin,

gab es um 1890 standesunterschiede bei bürgerlichen:

mein ururgroßvater war der sohn eines arbeiters und meine ururgroßmutter tochter eines aufsehers. ihr erstes kind wurde 1 monat nach der heirat geboren.
kann es sein dass die hochzeit deswegen zuerst nicht gestattet wurde, und dann nur weil sie schwanger war?

schönen abend?
Thorben
Gast

Re: standesunterschiede?

Beitrag von Gast »

Noch zu Anfang des letzten Jahrhunderts war nicht jeder Einwohner einer Stadt zugleich auch ihr Bürger, städtischer Bürger zu sein war ein Privileg.

Wer den Schutz eines städtischen Gemeinwesens in Anspruch nehmen wollte, musste erst Bürger werden. Dieses persönliche Recht war nicht vererbbar und konnte nur durch Ableistung des Bürgereids erlangt werden.

Da die Städte verpflichtet waren, den Angehörigen eines Bürgers in Fällen der Not Unterhalt zu gewähren, wurde seitens des Rates von den Bewerbern der Nachweis eines Kapitals, in Form von Geld oder einer beruflichen Qualifikation gefordert, ansonsten wurde das Bürgerrecht nur für begrenzte Zeit gewährt.

Beispiel aus meiner Heimatstadt:

Bürger der Stadt Werne nach Einführung der revidierten Städteverordnung von 1831.

Einwohner sind Bürger und sogenannte Schutzverwandte. Bürger ist nur, wer die Bürgerrechte besitzt, wer also das Recht gewonnen hat, an den öffentlichen Geschäften der Stadt durch Abstimmungen bei den Wahlen teilzu-nehmen

Die Bürgerrechte können nur Männer erwerben, die Grundeigentum besitzen oder ein stehendes Gewerbe betreiben, wobei Grundeigentum oder Gewerbe eine bestimmte Größenordnung haben mussen.

So sind in Werne ein Grundvermögen von wenigstens 300 Reichsthalern oder ein gewerbliches Einkommen von wenigstens 200 Reichsthalern pro Jahr nötig. Solche Einwohner sind nicht nur berechtigt, sondern auch ver-pflichtet das Bürgerrecht zu erwerben.

Wer von der Rendite eines reinen Kapitalvermögens lebt, ist zwar berechtigt, aber nicht verpflichtet, das Bürgerrecht zu erwerben. Dabei ist in Werne wenigstens eine Rendite von 400 Reichsthalern pro Jahr nötig.

Die Bürger werden gemeinsam in eine Bürgerrolle eingetragen und leisten den folgenden Bürgereid:

„Ich XY schwöre, dem König untertänig, treu und gehorsam zu sein, dem Magistrat Folge zu leisten, meine Pflichten als Bürger, wie sie mir durch die Städteordnung vorgeschrieben sind, nach bestem Wissen und Gewissen zu erfüllen und zum Wohle der Stadt nach allen meinen Kräften beizuwirken. So wahr mir Gott helfe.“

Die übrigen Einwohner der Stadt sind die Schutzverwandten, die keine Bürgerrechte wahrnehmen können.

Die Stadtgemeinde, bestehend aus Bürgern und Schutzverwandten, ist als Obrigkeit und Verwalter ihrer Angelegenheiten ein Magistrat vorgesetzt. Die Einwohner werden in allen Gemeindeangelegenheiten durch Stadtverordnete vertreten.

Gruß Manni
Gast

Re: standesunterschiede?

Beitrag von Gast »

Nachtrag:
Der Bewerber mußte nachweisen, daß er ehelich geboren, nicht leibeigen oder fremder Herrschaft untertänig und nicht in einen Prozeß oder Streitfall vor einem auswärtigen Gericht verwickelt war.
Handwerker, die zum Zeitpunkt ihrer Niederlassung meist über nur geringes Kapital verfügten, hatten ihren Lehrbrief vorzulegen, den Nachweis über eine drei¬ bis vier-jährige Wanderschaft zu führen und ein Meisterstück anzufertigen. Dies als Beweis dafür, daß sie sich selbst ernähren konnten. Trotzdem wurde ihnen das Bürgerrecht vorerst nur für eine begrenzte Zeit gewährt.

Manni
Irmgard
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Re: standesunterschiede?

Beitrag von Irmgard »

...es gibt auch noch einen anderen Grund..:
der Vater des Kindes war von höherem Stand und lehnte eine Anerkennung der Vaterschaft und Heirat ab. Dann mußte für die "geschändete" Tochter ein Mann gefunden werden. Für jemand von niederem Stand war das eine "gute Partie". So ließe sich auch die Heirat so extrem kurz vor der Niederkunft erklären.
Für eine so späte ( und damit schändliche) Hochzeit halte ich bürgerrechtliche Gründe für wenig wahrscheinlich.

Es gibt natürlich auch noch den möglichen aber fraglichen Grund einer langwierigen Krankheit des Bräutigams - Tuberkulose war unter Arbeitern verbreitet und nicht immer tötlich ...

schöne Grüße.. Irmgard
Gewöhnlich glaubt der Mensch, wenn er nur Worte hört, es müsse sich dabei doch auch was denken lassen.

Fam.-Nam.-Bildung und Wort-/Begriff-Erklärung sind zweierlei! Wort- bzw. Begriff-Erklärungen führen zur Personifizierung eines Fam.-Namens und sind unbewiesene Spekulationen! Tatsächlich sind Fam.-Namen Adressen (wie ihre adligen Vorbilder) nach regionalen Regeln gebildetet aus Orts-/Örtlichkeitsnamen =Herkunftsnamen, die sich manchmal fälschlich als Worte lesen!
Irmgard
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Re: standesunterschiede?

Beitrag von Irmgard »

*grrr _ Charakterfehler von mir - war wieder zu spontan..

Du schreibst : Tochter eines Aufsehers..
Aufseher hat man auf Gütern - nicht in Fabriken..

Auf einem Gut hatte der Gutsherr Für die Dauer der Dienstzeit des Knechts das Recht, eine Heirat zu untersagen (weil dann ja Frau und Kind/er zusätzliche Bewohner wären).

..nun such Dir was aus :-)
Gewöhnlich glaubt der Mensch, wenn er nur Worte hört, es müsse sich dabei doch auch was denken lassen.

Fam.-Nam.-Bildung und Wort-/Begriff-Erklärung sind zweierlei! Wort- bzw. Begriff-Erklärungen führen zur Personifizierung eines Fam.-Namens und sind unbewiesene Spekulationen! Tatsächlich sind Fam.-Namen Adressen (wie ihre adligen Vorbilder) nach regionalen Regeln gebildetet aus Orts-/Örtlichkeitsnamen =Herkunftsnamen, die sich manchmal fälschlich als Worte lesen!
thorben

Re: standesunterschiede?

Beitrag von thorben »

danke sehr für eure hilfe!

der vater der braut war aufseher in einer "ziegellei"
Guido Heidenreich

Re: standesunterschiede?

Beitrag von Guido Heidenreich »

Hallo Thorben,

meine Ur-Großeltern, beide aus bürgerlichen Familien,beide Väter Besitzer eines jeweils gutgehen Geschäftes, haben erst vor der Geburt des dritten Kindes geheiratet, erst dann gabs das Einverständnis seiner Eltern , das war 1903. Grund war die uneheliche katholische Abstammung ihrer Großmutter, dem schwarzen Schaf in der Familie.

Ich möchte damit nur sagen, daß es viele Möglichkeiten gibt, wieso diese Ehe erst so spät stattfand, drei-zwei-eins Monatskinder sind keine Erfindung der Neuzeit, gab es die auch schon früher sehr oft.

auch möchte ich damit sagen, daß der Grund in der Religionzugehörigkeit oder irgendwelcher bekannten "Schandflecken" in der Abstammung eines der Ehepartner liegen kann.

Es kann natürlich auch an der Standeszugehörigkeit gelegen haben..
in welcher Stadt war das denn???

gegenüber dem Standesamteintrag wäre der Kirchenbucheintrag dazu evtl. interessanter, geben dies manchmal nähere Auskunft über die Umstände....

schöne Grüße
guido Heidenreich
thorben

Re: standesunterschiede?

Beitrag von thorben »

leider bin ich noch nicht weiter als bis zum heiratseintrag meiner alteltern und kenne daraus zusätzlich nur deren eltern und den beruf der eltern.

in den dort ansässigen kirchen (kirchgellersen (bei LG) = geburtsort des mannes; und lüneburg = trauort, wohnort der braut zur zeit der hochzeit) sind keine weiteren daten als hochzeitsdatum und geburtsdaten des ehemannes. also nichts weiters über die eltern.

sollte in den heirateinträgen der kirchen nicht eigentlich auch der name der eltern stehen?
Irmgard
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Re: standesunterschiede?

Beitrag von Irmgard »

...er kann auch ein Witwer im Trauerjahr gewesen sein ( deshalb gab es viele vorehelichen Kinder, oft erst nach der Eheschließung durch den Mann anerkannt)...
Das wäre auch eine gute Erklärung für das Fehlen der Elternangabe bei der neuen Hochzeit.

Allerdings habe ich einige Hochzeitseinträge ohne Eltern und konnte noch keinen gemeinsamen Grund finden.. ausser vieleicht, daß die Eltern nicht am Ort ansässig/ bekannt waren. Das aber ist nicht immer ein Grund und somit nicht generell anzunehmen.

viel Glück bei der weiteren Suche!
Gewöhnlich glaubt der Mensch, wenn er nur Worte hört, es müsse sich dabei doch auch was denken lassen.

Fam.-Nam.-Bildung und Wort-/Begriff-Erklärung sind zweierlei! Wort- bzw. Begriff-Erklärungen führen zur Personifizierung eines Fam.-Namens und sind unbewiesene Spekulationen! Tatsächlich sind Fam.-Namen Adressen (wie ihre adligen Vorbilder) nach regionalen Regeln gebildetet aus Orts-/Örtlichkeitsnamen =Herkunftsnamen, die sich manchmal fälschlich als Worte lesen!
Guido Heidenreich

Re: standesunterschiede?

Beitrag von Guido Heidenreich »

hallo, Thorben,

das hört sich supertheoretisch an.
wenn sie den Eheeintrag einfach mal ausschreiben, kann man damit vieleicht mehr anfangen, und wenn das geburtsdatum des Mannes angegeben ist und auch noch der Ort, ist doch super...

In Kirchgellersen gibt es ja auch noch Kissmann, wenn es um diesen Namen geht, doch ein guter Ansatz.

Und was ist mit den Paten der Kinder, um diese zeit standen doch schon oft Verwandtschaftsbeziehungen dabei...

in früheren Zeiten gab es oft eine separate Seite im Kirchenbuch für Kirchenbußen, da schon mal geschaut...

viele Grüße

Guido
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